Bereits am 21. April 2025 erschien in dem regierungsnahen Medium *RIA Nowosti* eine Meldung über die Entdeckung einer „Gruppe von Studierenden mit linksradikalen Ansichten“ an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg (SPbGU).
Laut dem Bericht wurde der Universitätsstudent Artjom Pronko beschuldigt, „gegen die Vorschriften zur Durchführung von Versammlungen verstoßen“ zu haben. Anlass war eine Installation, die am 24. März auf dem Denkmal für Graf Uwarow erschien. Gegen ihn wurde ein Verwaltungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet.
Staatliche Medien und die Polizei beschuldigten Pronko, Mitglied der trotzkistischen Studierendengruppe „Arbeitermacht“ zu sein, und erklärten, die Zugehörigkeit aller Gruppenmitglieder sei festgestellt worden.
Bemerkenswerterweise wurde die Gruppe zudem beschuldigt, einem „internationalen Bündnis mit einem Führungszentrum im Vereinigten Königreich“ beigetreten zu sein. Sie wurden als „pro-britische Sympathisant\*innen“ bezeichnet, die angeblich im Kontext der sich verschlechternden Beziehungen zwischen Russland und dem Vereinigten Königreich agieren.
Am selben Tag berichteten unabhängige Medien über die Festnahme des LETI-Studenten Stepan Timofejew im Zusammenhang mit demselben Fall sowie über die Aufnahme eines Protokolls gegen ihn.
Einige Wochen später nahm der Fall eine weitere Wendung. Am 13. März wurde der 26-jährige Alexej Sidorow, Musiker der Band *Silver Machine*, vom Bezirksgericht Primorski zu einer Geldstrafe von 20.000 Rubel verurteilt – wegen „Anstiftung zu Hass oder Feindseligkeit“ (Art. 20.3.1 des russischen Ordnungswidrigkeitengesetzes). Als eines der Urteilsbegründungen wurde seine Mitgliedschaft in der Gruppe „Arbeitermacht“ angeführt.
Am 15. Mai fanden in Sankt Petersburg Hausdurchsuchungen bei mehreren Personen statt, die angeblich mit der linksradikalen Gruppe „Arbeitermacht“ in Verbindung stehen: Harry Asarjan, Oleg Rubisch, Irada Ibragimowa, Denis Kowal, Sergej Kadnikow und Kirill (Nachname unbekannt). Anlass war ein Strafverfahren wegen „Aufrufs zum Terrorismus“, das gegen den 23-jährigen Studenten aus Kasachstan, Harry Asarjan, eingeleitet wurde.
Laut Darstellung des Ermittlungskomitees soll Asarjan bei internen Treffen der Organisation zu „terroristischen Handlungen und Massenmorden“ aufgerufen haben. Als „Beweismaterial“ werden Transkripte von Reden angeführt, in denen angeblich Begriffe wie „Klassenhass“ und „Revolution“ gefallen seien.
Bei den Beschuldigten wurden Flugblätter und Broschüren, darunter das „Manifest der Arbeiter*innenmacht“, beschlagnahmt, und es fanden Verhöre statt. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass einer der Festgenommenen, bekannt unter dem Namen Kirill, geschlagen wurde. Einige der Festgehaltenen wurden mit dem Status von Zeug*innen entlassen – ein Status, der, wie die Sicherheitskräfte warnten, „sich jederzeit ändern kann“.
Am 16. Mai 2025 wurde Harry Asarjan durch Beschluss des Krasnogwardejski-Bezirksgerichts von Sankt Petersburg für zwei Monate in Untersuchungshaft im Gefängnis SISO-1 genommen – mit sofortigem Vollzug.
Nach Angaben von „Arbeiter*innenmacht“ wurden vor der Deaktivierung eines Kontos eines Genossen Materialien des Kongresses heruntergeladen, ein Teil der Dokumente wurde anschließend verändert und gefälscht. Vertreter*innen der Gruppe erklärten öffentlich, dass es keinerlei rechtswidrige Erklärungen oder Aufrufe in ihrem Namen gegeben habe.
Heutzutage gerät studentische Selbstorganisation automatisch unter Verdacht, sobald sie nicht in die offizielle Hierarchie eingebunden ist und klassenbewusste Positionen vertritt. Politisch motivierte Repression, der Versuch, die linke Studierendenbewegung einzuschüchtern und eine junge Organisationskultur zu zerschlagen, sind Teil einer umfassenden Strategie zur Unterdrückung jeglichen kritischen Denkens in Zeiten von Militarisierung und Reaktion.
Wir betrachten den Fall als politisch motiviert und die Anschuldigungen als unbegründet.
Freiheit für Harry Asarjan und alle Betroffenen dieses Verfahrens!